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In Erinnerungen schwelgen - Yukon - Trip of a Lifetime

19.07.2020


Vor ziemlich genau einem Jahr ging es los - für fast 7 Wochen nach Alaska und in den kanadischen Yukon. Erinnerungen, die gerade in diesen Corona-Zeiten so wertvoll sind. Seit über 20 Jahren stand diese Reise auf meiner "Löffel-Liste" - und ich bin so froh, dass ich sie letztes Jahr gemacht habe und nicht auf dieses Jahr gewartet habe. Wer kennt sie nicht, die Liste der unerfüllten Wünsche? "Wenn nicht jetzt, wann dann" war mein Motto für letztes Jahr. Dieses Jahr fällt der Sommerurlaub ganz aus und wir genießen einfach unsere Zeit zuhause. Umso schöner, die Erinnerung an letztes Jahr wachzuhalten. "Rafting down the Tatshenshini" war ein einzigartiges Erlebnis, das ich nie vergessen werde. Eine meiner Mit-Rafterinnen, Liz Razine, schrieb damals drei Geschichten, die ich als Basis für meine Erlebniserzählungen genutzt habe. Heute kommt hier die erste:


TRIP OF A LIFETIME


Tag 1: Dalton Post zum Silver Creek / Bridge River (Tatshenshini River)

 „Das wird die Reise deines Lebens!“ Jeder hat mir das erzählt. Und sie hatten recht! Seit 25 Jahren steht diese Reise auf meiner Löffelliste, der Liste von Dingen, die ich unbedingt erleben möchte auf meiner Lebensreise. Als ich damals in Vancouver lebte, wurde dieser Traum geboren. „Rafting down the Tatshenshini“ war für mich der Inbegriff von Abenteuer und Freiheit. In so manchen Zeiten des beruflichen und familiären Eingespanntseins war da immer diese Sehnsucht. Heute ist es soweit. Nach ein paar Tagen zur Eingewöhnung in Whitehorse, der Hauptstadt des Yukon, ist heute der große Tag.

Es geht los…

Der Himmel ist blau, die Luft frisch, als wir die Rafting-Boote für unseren ersten Tag auf dem Tatshenshini River laden. Fünf junge begeisterte Guides, 16 erfahrene Abenteurer, 5 Schlauchboote voller Proviant und Ausrüstung für eine zehntägige Rafting-Tour. Zelte werden fest gerollt und in große, wasserdichte Packsäcke gefüllt. Schon das Packen im Vorfeld war das erste Abenteuer. Schlafsack und Isomatte mussten zusammen mit Kleidung für 10 Tage für kaltes und nasses Wetter und einigen leichteren Sachen für warme Tage in einen recht übersichtlich großen Packsack passen. Dabei sollte ich mich auf Temperaturen von 0 bis 30 Grad einstellen… Kleine Tages-Säcke mit Sonnenschutzmitteln, Kleidung zum Wechseln, Kameras / Handys, Wasser und Snacks warten aufs Beladen. Wir Abenteurer stopfen uns in unsere Trockenanzüge, damit es losgehen kann.

"Hilfe!" kommt ein gedämpfter Schrei von Liz, ihr Kopf hängt im engen Gummihals ihres Trockenanzugs fest. Ihr Mann Gary beeilt sich, um ihr zu helfen, und ihr Kopf lugt raus wie ein Baby, das sich durch den Geburtskanal schiebt. "Wie habt ihr es jemals geschafft, eure anzuziehen?", fragt sie.

Überall um uns herum kämpfen sich meine Raftingkameraden mit unterschiedlichem Erfolg und viel Gefluche in ihre chicen, orangenen Trockenanzüge. Schließlich werden noch die Gummistiefel mit einem Reißverschluss hochgezogen, damit auch die Füße trocken und vor allem warm bleiben. Ich sehe aus wie eine Mischung aus Captain Kirk und Michelin-Männchen… Die orangefarbene Schwimmweste rundet die elegante Kleidung ab.


Will, unser 28-jähriger, ruhiger selbstbewusster Anführer, zeigt, wie man jemanden rettet, der über Bord gefallen ist. Dies ist eines der wenigen Male, dass die Gruppe verstummt. Er erklärt, dass die Anzüge, die wir tragen, Unterkühlung verhindern, die ohne sie schnell einsetzen würde. Er zeigt uns, wie wir die Schultern der Schwimmweste greifen, die Person nach unten drücken, um Schwung zu erzeugen, und dann nach oben ziehen, um sie ins Schlauchboot zu ziehen. Er erzählt uns weiter, dass unser erster Tag auf dem Fluss die meisten Stromschnellen und Wildwasser der Reise haben wird. Wir alle sind aufgeregt und ein paar sehen ziemlich besorgt und nervös aus. Vier Personen pro Floß nehmen ihre Positionen an der Vorderseite jedes Bootes ein, einige sitzen am Rand, andere näher an der Mitte, je nach Komfort und Begeisterung. Die Guides stoßen uns ab und springen in die Mitte des Rafts, auf Kühlboxen und Packsäcken. Sie schnappen sich die Ruder und rudern uns in die Strömung.
 
Unsere Gruppe besteht aus 16 Teilnehmern – eine tolle Mischung aus Kalifornien, Ottawa, Alaska und Eichenau in Oberbayern… Interessanterweise 11 Frauen und nur 5 Männer. Ich hätte wetten können, dass ich mit meinen 48 Jahren die Älteste bin, als ich mich vor fast einem Jahr für diesen Trip angemeldet habe. Nun stelle ich fest, dass ich mit Abstand die jüngste Teilnehmerin bin… Die einzige unter 60… Gary ist mit seinen 76 Jahren der Älteste – und ab jetzt mein Vorbild, welche Touren man mit 76 noch machen kann!
 
Gary mit seiner Frau Liz sowie ihr Bruder Phil mit seiner Frau Linda haben beschlossen, Will im Führungsfloß zu begleiten. Die anderen vier Guides haben ihre Positionen in den Rafts hinter Will eingenommen. Lindsay, Wills Frau, eine Vollzeitkrankenschwester und Teilzeit-Rafting Guide, ist als nächstes an der Reihe. Sie hat extra Urlaub genommen, damit sie mit ihrem Mann auf diese Tour gehen kann. Beeindruckend! Als nächstes sind wir dran. Unser Guide ist Phin (Phinyla), die mit ihren gerade mal 18 Jahren der jüngste Guide in der Gruppe ist – ein unglaublich toughes Mädl - das einzige Mädchen in einer Jungsfamilie. Sie wird von mir und den drei weiteren Abenteuerdamen Molly, Pam und Nancy sofort ins Herz geschlossen – und wir sollten „Team Phin“ bleiben bis zum Schluss….

Nach Phin springt der 25-jährige Jeremy mit einigen Vorräten, aber ohne lebendes Gepäck an Bord des Ponton-Bootes – einer Art Katamaran-Schlauchboot. Jeremy steckt voller Energie und Begeisterung, die sich in ununterbrochenem Redefluss und ständiger körperlicher Bewegung äußert. Er freut sich auf seine erste lange Rafting-Tour, da er letztes Jahr der Administrator des Unternehmens im Büro war. Er hat viel Erfahrung auf Tagesausflügen, aber diese 10-Tage-Tour wird eine neue Herausforderung für ihn sein. Er teilt das Pontonboot mit Rich, der die Ruder nimmt. Rich war Ranger in verschiedenen Nationalparks der USA und ist ein erfahrener Rafter, der darum gebeten hat, sein eigenes Raft zu rudern. Das Schlusslicht macht Castrol (zu Deutsch „Turmfalke“), die die Stärke einer Football-Spielerin in einem kleinen kompakten Körper hat und vor Energie nur so sprüht. Immer guter Laune, für jeden Spaß zu haben. Als sie uns verrät, dass sie Rugbyspielerin ist, wird klar, warum man nur Muskeln sieht, während sie an den Rudern zieht. Sie ist nach Will die zweiterfahrenste Tourleiterin der Company und steuert ihr Raft mit einer beeindruckenden Leichtigkeit und Selbstvertrauen.

Der Fluss fließt schnell und nimmt die Rafts schnell stromabwärts. Nach relativ gemütlichem Treiben mit gelegentlichem Paddeln signalisiert Will den anderen Guides, zum Besprechung ans Ufer zu fahren. Wir sind kurz davor, die Stromschnellen zu durchraften. Alle Boote werden nochmal überprüft, dass alles fest verzurrt ist. Will warnt uns alle, dass unsere Tagesrucksäcke fest mit Karabinern am Mittelseil eingehängt sind und dass unsere Füße etwas zum Einhaken haben müssen, um zu verhindern, dass wir über Bord gehen. Uns allen ist ziemlich mulmig und die netten Kennenlerngespräche, die wir bisher genossen haben, verstummen. Aber alle freuen sich auch auf den Nervenkitzel der bevorstehenden Fahrt.

Der Fluss fließt jetzt noch schneller, riesige Wellen krachen über Felsen mit wirbelnden Strudeln darunter. Das Raft hüpft auf den Wellen und Tälern auf und ab, das eiskalte Wasser spritzt uns ins Gesicht und tränkt unsere Anzüge. Das wilde Wasser dreht sich, gurgelt und rauscht über riesige Felsen um uns herum. Die Guides steuern die Rafts fachmännisch durch die Turbulenzen und weisen uns ruhig an, vorwärts oder rückwärts zu paddeln. Das Raft fühlt sich an wie ein buckelnder Stier, der versucht, uns abzuwerden, aber ich habe keine Angst. Wir sind mit Passagieren und Ausrüstung gut beschwert. Es ist spannend, die anderen Rafts vor und hinter uns zu beobachten, wie sie sich durch die Stromschnellen auf und ab schlängeln. Diejenigen, die sich am Anfang unwohl fühlten, fühlen sich jetzt sicherer und wissen, dass sie nicht aus den Rafts fallen werden. Einige von uns kreischen und johlen über die wilde Fahrt und fühlen das Adrenalin des Abenteuers.

Plötzlich ist ein Schrei von ganz hinten zu hören. Rich hat die Kontrolle über sein Raft verloren und ist gegen eine Felswand gedonnert. Der Aufprall hat die vordere Spitze eines der beiden Pontons weggeschossen. Das Ponton verliert schnell Luft. Wir alle versuchen zu sehen, was hinter uns passiert. Will weist alle Rafts schnell Richtung Ufer und die Guides lenken ihre Boote an die Seite. Sobald wir in Sicherheit sind, rennt Will zurück, um nach Rich und Jeremy und dem verwundeten Raft zu sehen. Zum Glück ist niemand verletzt. Aber das Pontonboot, das sie als "Madonna" bezeichnen, hat ein Problem. Die Hartplastikspitze am Ende eines Pontons (wie die von der Diva getragenen Brustschalen) ist gebrochen. Wenn nur der aufgeblasene Ponton selbst beschädigt wäre, gäbe es die einfache Möglichkeit, ihn zu flicken. Aber dieses Stück des Bootes ist viel schwieriger zu reparieren. In diesem Zusammenhang lerne ich das Wort „McGuyvering“, denn die Jungs versuchen nun, mit fast Nichts das ponton wieder zu reparieren, damit der Luftdruck die Spitze nicht wieder wegdrückt. Zum Glück haben wir erfahrene Guides, aber auch erfahrene Teilnehmer dabei - mit „Mr. Fix It”-Ruf. Es wird viel diskutiert und gefachsimpelt unter den Jungs.
 
Wir anderen steigen aus den Booten und stehen etwas ratlos am Ufer. Was jetzt? Verzögert sich jetzt alles? Was, wenn wir überhaupt nicht mehr weiter können? Eine Teilnehmerin beschwert sich, dass Rich darauf bestanden hat, selbst ein Raft zu steuern. Sie hat ihn auf der Busfahrt nach Dalton Post über all seine Erfahrungen als Rafting-Guide reden gehört und hat das Gefühl, dass er nur beweisen will, dass er genauso gut oder besser ist als unsere jungen und seiner Ansicht nach weniger erfahrenen Guides. Sie findet das nicht in Ordnung und verlangt von Will, dass Rich das Pontonboot nicht mehr fahren soll. Sie macht sich um das Wohlergehen der Gruppe Sorgen und ärgert sich über die Störung der Reise. Hmm, und ich mache mir mehr Sorgen, wie sich dieser Vorfall jetzt auf die Stimmung in der Gruppe auswirkt, und hoffe, dass er keinen Unmut hinterlässt. Will ruft die Gruppe zu einem Gespräch in einen Kreis.
 
Dann wird klar, dass Will der richtige Mann ist, um uns durch dieses Abenteuer zu führen. Er sieht sich in der Gruppe um und spricht mit seiner ruhigen, ernsten Stimme die Bedenken an, die wir alle haben. Er normalisiert den unglücklichen Unfall und sagt, dass er jedem der Guides hätte passieren können. Er weiß, dass Rich ein erfahrener Rafting-Guide ist, und deshalb durfte er selbst ein Boot rudern. Ohne jemanden namentlich zu erwähnen, gibt er zu, dass er sich einiger ärgerlicher Gefühle in der Gruppe bewusst ist und möchte, dass es sofort aufhört. Will sieht jeden einzeln an und sagt uns, wie wichtig es ist, dass wir uns zusammenreißen und gegenseitig unterstützen, um den Trip zu einer erfolgreichen und positiven Erfahrung zu machen. Er versichert uns, dass sie daran arbeiten, das beschädigte Boot zu reparieren und einen Plan B im Auge zu haben, falls es nicht repariert werden kann. Das mitgeführte aufblasbare Kanu muss möglicherweise als Ersatzponton herhalten.
 
Während der Reparaturarbeiten teilt Will uns mit, dass zwei der Guides unser Mittagessen herrichten werden. Wir haben gar nichts gegen die Pause, befreien uns aus unseren Trockenanzuggefängnissen und finden Felsen oder Baumstämme, auf denen wir uns in der Sonne am Ufer niederlassen können.
Während einige immer noch darüber diskutieren, ob es richtig war, Rich das Pontonboot rudern zu lassen, akzeptiert jeder Wills weise Worte und ist froh über seine positive Führung. Will ist die Ruhe im Sturm, der Fels in der Brandung, und wir wissen, dass wir bei diesem Mann in guten Händen sind.

Bei frischem Obstsalat mit Vanillejoghurt, Müsliriegeln und Peanut Butter Sandwiches lässt es sich auch gut warten.


Wenig später ist das Kanu notdürftig unter das Pantoon-Boot geschnallt und die Tour kann weitergehen. Die Fahrt bis zu unserem ersten Campingplatz in der Wildnis verläuft umso ruhiger - durch den Still Water Canyon. Vorbei an unseren ersten Weißkopfseeadlern, die am Steilufer in den Felsen sitzen...

Am Campingplatz angekommen zeigen uns Spuren, wer hier eigentlich das Hausrecht hat. Riesige Bärentatzen flössen uns doch ordentlich Respekt ein - und erinnern uns, dass wir wirklich keinerlei Essen in unseren Zelten haben sollten.

Bei Spaghetti mit Ceasar Salad und Garlic Bread werden die heutigen Erlebnisse am Lagerfeuer noch lange diskutiert. Erst um 23.30 Uhr falle ich in meinen Schlafsack in meinem blauen Zelt. Und es ist immer noch hell hier im Norden...

Die nächste Geschichte: Tag 3: Hiking am Sediments Creek